Ein im Kino ausgestrahlter Dokumentarfilm will zeigen wie Erziehung heute geht und wird von den seriösen Medien hoch gelobt. Doch die gezeigten Maßnahmen sind gespickt mit Gewalt gegen (kleine) Kinder. Die Kritiker überschlagen sich, auch der Kinderschutzbund findet deutliche Worte gegen den Film. Alles über den Film, die Diskussion, und viel wichtiger: wo Eltern in Not Hilfe finden, steht in diesem Artikel.

Elternschule und Herzensschule

Ein Dokumentarfilm über Kindererziehung erhitzt die Gemüter

Die Stimmung kocht hoch, in Elternblogs und in den sonstigen Medien, wenn es um den aktuellen Film “Elternschule” geht, der Mitte Oktober in die Kinos kam. Dieser Dokumentarfilm will vermitteln, wie Erziehung heute geht. Es werden erschöpfte Eltern mit ihren “schwierigen” Kindern begleitet, wie sie in der Kinder- und Jugendklinik Gelsenkirchen therapiert werden. Die ersten Reaktionen der (seriösen!) Presse waren voll des Lobes, doch es kommt starker Gegenwind von Kinderärzten, Therapeuten, Pädagogen und Elternbloggern, zum Beispiel in Form von der Herzensschule und schließlich auch sehr deutliche Worte vom Kinderschutzbund. Die Methoden im Film Elternschule sind nämlich z.B. “Baby allein ins dunkle Zimmer stellen damit es schlafen lernt” oder “Krankenschwester nimmt Kind in Schwitzkasten damit es isst” und das durchaus mit gewaltvollem Charakter.

Inhalt des Films

Ich sage es gleich zu Anfang: Ich persönlich habe den Film nicht gesehen. Zum einen, weil das nächste Kino, das diesen Film zeigt, von mir aus rund 130 km entfernt ist. (Zum Glück scheint der Film also nicht flächendeckend gezeigt zu werden.) Abgesehen davon, mir reicht der Trailer der Elternschule um zu wissen, dass ich die überwiegend dort gezeigten Methoden nicht als “Das Geheimnis guter Erziehung” (Überschrift über dem Video Beitrag von WDR) ansehe.

Das ist auch die Meinung vieler Anderer, es gibt sogar eine Petition die ein Verbot des Films erwirken will, mit bisher über 20.000 Unterzeichnern. Und die Stellungnahme des Kinderschutzbundes ist ebenso eindeutig, in der vorgeschlagen wird, dass der Anfangsverdacht der Misshandlung Schutzbefohlener nach § 225 StGB von der Staatsanwaltschaft geprüft werden muss, sowie die Ärztekammer bewerten sollte, ob die öffentliche Darstellung der Kinder (und Eltern) auf dieser Weise mit der ärztlichen Ethik vereinbar ist.

Es werden im Film Situationen und Familien in Not gezeigt, die auf der Suche nach Hilfe sind. Die mit ihren Kindern nicht mehr weiter wissen. Die Kinder zeigen verschiedene Verhaltensauffälligkeiten, dazu gehören Schlaf-, Essstörungen, psychosomatische Neurodermitis und starkes Aggressionsverhalten (wobei ich natürlich nicht einschätzen kann, ob die Kinder tatsächlich auffällig sind). Dann werden diese Familien bei der Therapie begleitet, die mit aus meiner Sicht heftigen Methoden zum (kurzfristigen) Erfolg führt – nämlich zu nun unterwürfigen, braveren Kindern. Im Artikel vom Blog Gewünschtestes Wunschkind wird der komplette Film sehr detailgenau nacherzählt und zwischendrin wunderbar kommentiert. Absolute Leseempfehlung.

Meine Haltung dazu

Vielleicht (!) sind in ganz besonderen Situationen mit besonderen Familien besondere therapeutische Maßnahmen nötig. Da fehlt mir die Expertise, ich maße mir bei Weitem nicht an, jeden möglichen Fall einschätzen zu können. Aber “krasse” Methoden gehören maximal zu “krassen” Fällen. Diese als “guten Erziehungsratgeber” der breiten Öffentlichkeit unkommentiert und ohne richtige Einordnung vorzusetzen, ist schon sehr heikel. Gehört sowas wirklich auf eine Kinoleinwand?!

Mir bereitet es Bauchschmerzen, wenn ich überlege, dass überforderte Eltern die es nicht besser wissen, und die vielleicht selbst mit ähnlichen Methoden erzogen wurden, solche Methoden, oder besser gesagt solche Gewalt Zuhause anwenden. Oder wenn solche Maßnahmen gar gezielt in Kindergärten oder Krippen Einzug halten! (Das darf übrigens ganz und gar nicht sein, denn Anwendung gewaltvoller Methoden an den anvertrauten Kinder kann arbeits- und zivilrechtlichen sowie ggf. strafrechtlichen Konsequenzen zur Folge haben.) Ich finde, andere Erziehungsmodelle für die “normale Alltagserziehung” mit anderen Ansätzen müssen dem dringend gegenüber gestellt werden. Damit alle Eltern von alternativen “schonenden” Ideen wie z.B. Attachment Parenting, Bedürfnisorientierung, Unerzogen, Gleichwürdigkeit erfahren und sich Gedanken über ihre Art der Erziehung machen. Darüber sollte man mal einen Film machen!

Spiekeroog mit Kindern 007

Unsere Erziehung ist eher nach Bauchgefühl mit viel Liebe

Wir Zuhause versuchen als Eltern auf unser Bauchgefühl zu hören. Der Attachment Parenting Ansatz gefällt uns. Die Bedürfnisse aller Familienmitglieder sind wichtig und müssen wahr- und ernst genommen werden. Wir versuchen auf Augenhöhe zu kommunizieren, bindungsorientiert zu leben. Zum Beispiel hat sich für unsere Familie das Familienbett als richtig herausgestellt. Als Babys haben wir unsere zwei Chaoten viel getragen.

Natürlich klappt es nicht in allen Situationen super gut, wir zweifeln und hadern wie jeder andere auch, treffen mal richtige und mal falsche Entscheidungen. Vor allem wenn Termindruck dazu kommt erscheint es oft schwierig. Aber Eltern sein heißt für uns auch Entwicklung und den eigenen Weg finden. Da läuft nicht immer alles gut und richtig, aber wir geben uns Mühe und versuchen unser Verhalten nach unschönen Situationen zu reflektieren und sprechen viel mit den Kindern.

Hier schreibe ich über unser Familienbett.

Hier schreibt Stefan über Attachment Parenting aus Männersicht.

Kidzooona

Diskussion über und Auseinandersetzung mit Erziehungsmethoden sind wichtig!

Ich möchte mit diesem Artikel hier dazu beitragen, die Überlegungen zu Erziehung in der heutigen Zeit und Kritik zu dem Film “Elternschule” weiter in die Öffentlichkeit zu tragen, und Diskussionen anzuregen. Dazu möchte ich hier ein paar aus meiner Sicht lesenswerte Artikel rund um den Film aufzählen. Mit diesen Artikeln bekommt man denke ich einen guten Einstieg in die Thematik rund um den Film und kann sich selbst eine Meinung bilden, vielleicht seinen Erziehungsstil reflektieren und über verschiedene Methoden für seine eigene Familie nachdenken oder sich gezielt über andere Ansätze wie z.B. “Attachment Parenting”, “Bedürfnisorientierung”, “Unerzogen”, “Gleichwürdigkeit” oder ähnliches informieren.

  • Der Kinderschutzbund findet sehr deutliche Worte in seiner Stellungnahme zum Film Elternschule.
  • Im Artikel von Gewünschtestes Wunschkind wird der ganze Film detailliert wiedergegeben und sehr sehr gut kommentiert. Jede Handlung wird beleuchtet und hinterfragt und vor allem stellt sie am Ende die Frage, wie es denn eigentlich sein kann, dass all die unterschiedlichen Familien mit Kindern mit unterschiedlichsten Schwierigkeiten die gleiche 08/15 Therapie bekommen haben.
  • Artikel von Nora Imlau in der Eltern Zeitschrift. Sie erklärt gut den Film, die Stimmung im Kino und die anschließend dort stattfindende Diskussion mit dem leitenden Psychologen aus dem Film. Der Film ist eine schwierige Kiste.
  • Im Herzensschule Video sprechen Pädagog*innen, Therapeut*innen, Blogger*innen, Autor*innen darüber, wie wichtig Bindung und Beziehung ist, und zwar von Anfang an.
  • Der kritische Artikel vom Kinderarzt Dr. Herbert Renz-Polster  über den Film Elternschule ist inzwischen viel zitiert und weit bekannt.
  • Tollabea gibt in ihrem Artikel über die Elternschule eine meiner Meinung nach ganz gute Zusammenfassung und versucht erst mal, den Film irgendwie nachzuvollziehen. Sie stimmt dem Film nicht zu, verteufelt ihn aber auch nicht ganz. Einige Ansätze in der Dokumentation wie z.B. “Es kann dem Kind nur gut gehen, wenn es den Eltern auch gut geht.” klingen auch für meine Ohren nicht falsch. Das Fazit von Tollabea, diesen Film und die ganze Aufmerksamkeit, die dem Thema gerade gewidmet wird als Gelegenheit zu nehmen, in der Gesellschaft über Erziehung zu sprechen und als Chance zu sehen, Familien in (Erziehungs-)Not gute und geeignete Hilfe an die Seite zu stellen. Außerdem findet sich dort eine Auflistung von Anlaufstellen für Hilfe suchende Familien.
  • Im Artikel von Geborgen Wachsen wird dargestellt wie eine Elternschule heute eigentlich aussehen sollte.
  • Im Artikel von Mini and Me, einem tollen Mama Blog aus Wien, wird nochmal ganz deutlich gemacht, dass das Kind nicht das Problem ist und dass ein “Kompetenzkittel” nicht unbedingt heißt, dass der vermeintliche Experte recht hat. Eltern sind dazu angehalten, stets Methoden zu hinterfragen. Auch sie zählt Stellen auf, an denen Familien Hilfe bekommen können.
  • Noch ein Folgeartikel von Mini and Me, darüber was Kinder brauchen, dem Traum von einer besseren Welt und dass wir Eltern laut sein müssen damit wir dahin kommen.
  • Ich bin ja absolut kein Fan der Bild-Zeitung, aber in Bezug auf den Film Elternschule ist sie eine der wenigen großen Zeitungen, die Kritik äußert in diesem Artikel.
  • Der erste Artikel in der Zeit ist viel zu unkritisch und lobend.
  • Der zweite Artikel in der Zeit ist meiner Meinung besser und geht auf die Schwierigkeit ein, dass die Methoden im Film einfach der breiten Öffentlichkeit ohne einordnende Kommentare vorgeführt werden.
  • Der Artikel in der Süddeutschen fängt schon damit an, dass gelobt wird, wie im Film Ärzte die Kinder “zähmen”, dass die Kinder die Macht über die Eltern ergriffen haben und mit ihrem Verhalten den Eltern ihren Willen aufzwingen wollen.
  • Es gibt viel gute Literatur über verschiedene Erziehungsansätze und darüber, warum Kinder sich verhalten wie sie es tun, und dass das genau richtig ist. Die in diesem Beitrag verlinkten Bücher von Jesper Juul (z.B. “Dein kompetentes Kind“, “Nein aus Liebe“), Nora Imlau (“So viel Freude, so viel Wut“), Danielle Graf und Katja Seide (“Gewünschtestes Wunschkind treibt mich in den Wahnsinn“) habe ich z.B. selbst gelesen und kann sie empfehlen.

Wo finden Eltern Hilfe?

  • Kinderschutzbund und anderen Organisationen vor Ort in Form von Elternkursen, Erziehungsberatung oder sozialpädagogischer Familienhilfe
  • Caritas Erziehungs- und Familienberatung
  • Nummer gegen Kummer – Elterntelefon (bundesweit und kostenlos) unter der Rufnummer 0800 111 0550 (montags bis freitags 9 – 11 Uhr sowie dienstags und donnerstags 17 – 19 Uhr).
  • TelefonSeelsorge (bundesweit, kostenlos, anonym und rund um die Uhr) unter der Rufnummer 0800 / 111 0 111 oder  0800 / 111 0 222
  • Amt für Kinder und Jugend / Erziehungsberatung des jeweiligen Landkreises
  • Erziehungs- und Familienberatung der Jugendämter
  • Krisendienst der Jugendämter
  • SOS-Erziehungs- und Familienberatung
  • Hebamme
  • Frauenarzt
  • Schreiambulanz
  • Kinderarzt
  • Schulpsychologischer Dienst
  • Sozialpädiatrisches Zentrum in der nächsten Stadt